Ulrich Siedfried Wössner
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Ulrich S. Wössner: Objekte, Bilder, Installationen

Fortsetzung:

Das zeigt sich z.B. ganz deutlich in der "Grablegung des Kreuzes" (2008), einer Gruppe fünf verschieden großer Kreuze, von denen sich vier jeweils 2:2 auf kreuzförmigem Grundriss gegenüber stehen und eines mittig liegt. Während das große Kreuz zentral und statisch in bekannter Kreuz-Symbolik auftritt, krümmen sich die anderen jeweils an einer Seite zunehmend in sich zusammen, als schlössen sie ihre Arme, um etwas zu umfangen. Damit werden sie immer kleiner und in ihrer Ausformung weicher und runder, bis das Kreuz schließlich in embryonaler Form auf der Erde liegt, zusammengekauert wie eine sich schließende Blüte oder die Metamorphose einer starren, kantigen Form in ein organisches Gebilde. Die Gruppe erinnert aber auch an Darstellungen der Kreuze auf dem Berg Golgatha oder an die Hl. Familie: Joseph der Zimmermann, Maria und das Jesus Kind in der Krippe.

Das Thema des Kreuzes nimmt in der abendländischen Kunstgeschichte eine zentrale Stellung ein. Es steht als Zeichen und Symbol für die Kreuzigung Christi und damit zugleich kontradiktorisch für das Leiden und die Erlösung, für den Tod und die Überwindung des Todes. Nicht nur in unzähligen kirchlich-religiösen Darstellungen des Mittelalters findet sich die Kreuzesthematik, sondern auch in der zeitgenössischen Kunst ist sie immer wieder anzutreffen, man denke nur an Joseph Beuys, der die Wirkkraft des Kreuzes thematisiert hat, an Arnulf Rainer, dessen Kreuze eine Beschäftigung mit der Mystik, mit Tod und Martyrium darstellen oder aber an den skandalträchtigen Frosch, den Martin Kippenberger 1990 in seinem Werk "Zuerst die Füsse" mit Bierkrug und Ei gekreuzigt hat, und der Ausdruck seiner eigenen Krise war. So steht das Kreuz in der zeitgenössischen Kunst in einer Spanne zwischen sakralen und profanen Bedeutungen und wird zur Metapher und zum Ausdruck sehr persönlicher, oft existentieller Befindlichkeiten und Auseinandersetzungen. Dieselbe Spanne zeigt sich in den Arbeiten Wössners. Als Religionswissenschaftler sind ihm die bedrückenden Bedeutungen und Assoziationen, die das Kreuz als religiöses Gefühl auslöst, bestens bekannt und er legt diese Schwere der Leidensthematik zu Grabe, indem er unterschiedliche Formen ausprobiert und das Starre auflöst. Ohne den Geist des Religiösen aufzugeben erhält die Arbeit eine schalkhaft-philosophische Dimension, die mit der Ernsthaftigkeit und der tieferen Bedeutung dieses kulturellen Objektes als Zeichen des abendländischen Wertesystems spielt. Die kritisch-religiöse Auseinandersetzung zeigt sich auch in der Arbeit "Croix portable" (2004), einem transportablen, d.h. zusammenlegbarem Kruzifix, das jede/r mit sich tragen kann. Damit negiert Wössner nicht, dass jeder "sein Kreuz zu tragen" habe, verhilft aber jedem einzelnen anschaulich und ironisch dazu, es auch zu tun.

Es ist ein Chaos, in dem wir leben, das belegt der Künstler anschaulich in der Skulptur "Chaos oder: massa confusa", (2007/08, →Abbildung) einem auf den ersten Blick hermetisch geschlossenen schwarzen Block, der sich bei näherem Hinsehen dann als zwar geometrisch in eine rechteckig-kubische Form gedrückt herausstellt, die aber aus verschieden großen und sich gegeneinander sperrig verkanteten, schwarz gestrichenen Hölzchen besteht, welche auch nur durch ein starkes, zwingendes Muster in diese Form gebracht werden konnten. Es ist dieselbe konfuse Masse unterschiedlich großer, aber einheitlich gefärbter Holzstücke, die sich in "Nachtmeerfahrt des Welteneies", (2006/07, →Abbildung) wiederholt. Doch sind sie hier weiß angestrichen und außerdem "gelenkt", d.h. durch eine Schablone gerichtet auf einen Haufen gefallen, der auf einer schwarzen Platte aufliegt. Das Weltenei ist unsichtbar in dieser Pyramide versteckt, die durch einen roten Knauf, den ehemaligen Hebel einer Ofentür, bekrönt wird. Wie ein mittelalterlicher Alchemist hat Ulrich Wössner einem glatten runden Kieselstein - in Größe und Form einem Ei vergleichbar - den er bei einem Spaziergang gefunden hat, einen hölzernen Sarkophag gebaut, diesen mit Gold- und Silberfolie bezogen, das ganze, sorgfältig angefertigte Gebilde auf eine quadratische, schwarz gestrichene Platte, in deren Mitte eine runde Kupferscheibe geheftet ist, gestellt und dann erst die weiß bemalten Holzstücke darauf geschichtet. Die unterschiedlichen Formen: Ei, Scheibe, Quadrat, Pyramide und Kugel symbolisieren perfekte geometrische Gebilde und damit Formen, aus denen alles andere hervorgeht. Das Material: Stein, Holz, Karton, Kupferblech, Eisen, Sand und Alufolie sind Naturmaterialien und Metalle, die als Werkstoffe die alchemistischen Elemente Feuer, Holz, Metall und Erde verkörpern, ergänzt durch die Meeresfahrt des Welteneies um das imaginäre Element Wasser. Die Assoziationen zu dieser Arbeit sind unbegrenzt und führen automatisch in eine Sphäre aus mittelalterlicher Mystik, Astrologie, dem Glauben an Geister und magische Mittel. Auch "Sonne und Mond" (2006, →Abbildung) weisen durch ihre Verknüpfung mit den Materialien Silber (Mond) und Gold (Sonne) die alchemistische Lehre der Metalle auf.

Während die bisher erwähnten Werke überwiegend gesellschaftlich-religiöse Inhalte und damit allgemeine Fragen thematisiert haben, wirkt die Installation "Türen" (2005/06) hingegen sehr privat. Sie besteht aus vier unterschiedlichen Türen, von denen jede einzelne ihre eigene Geschichte eingeschrieben hat. Abgeblätterter Lack, Kratzer und verschiedene Gebrauchsspuren deuten Geheimnisse an, die sich hinter den Türen abgespielt haben könnten, evozieren weit zurückliegende Ereignisse und signalisieren Vertrautheit und Privatsphäre. Türen verschließen normalerweise einen Raum, schaffen damit einen Bereich der Intimität und des Rückzuges, versprechen Ruhe und Schutz. Die Türen Wössners sind jedoch nicht abschließbar. Sie sitzen nicht in einem festen Wandstück, zu welchem sie den Zu- und Ausgang darstellen, sondern bilden locker rechtwinklig zueinander angeordnet selber einen Raum. Diesen können sie jedoch nicht schließen, da sie, jeweils um 360° drehbar, nirgends miteinander in Berührung kommen und damit stets ein Spalt zwischen ihnen frei bleibt: eine Ein- oder Aussicht ist gewährleistet, Intimität und Schutz bleiben jedoch aus. Wössner spielt bewusst mit dieser Offenheit der Verschlussvorrichtung, die keinen wirklichen Zutritt in einen Raum mehr ermöglicht und somit absurd und zwecklos wird. Sie wird reines Artefakt, ein Kunst-Werk, das den Betrachter integriert und zur Aktion auffordert. Öffnet man eine Tür, so kann man den - scheinbaren - Raum betreten; man steht jedoch wieder nur vor einer Tür oder vor dem Nichts. Das Objekt ist zugleich der Raum und auch die Bewegung. Es gibt kein Herein und damit auch kein Heraus, d.h. man ist immer zugleich schon im Außen- und im Innenraum, muss oder kann nur für sich selbst eine eigene Positionierung definieren.

© Dr. Ann-Katrin Günzel, Juni 2009
Kunsthistorikerin, Köln

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